Diagnose Querschnittsverletzung: Wieviele Patienten trifft das in Österreich eigentlich?

Ein Verkehrs- oder Sportunfall. Ein Sprung ins Wasser, der alles verändert. An der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität laufen intensive Forschungen zum Thema Querschnittsverletzung. Doch wieviele Patienten müssen pro Jahr in Österreich mit dieser Diagnose leben? Die Austrian Spinal Cord Injury Study (ASCIS), eine Registerstudie zur Erhebung der Fallzahlen, soll Antworten liefern.

Wissen Sie, wie viele Menschen in Österreich pro Jahr eine traumatische Querschnittsverletzung erleiden? Also eine Verletzung des Rückenmarks durch einen Unfall mit vorübergehenden oder dauerhaften Ausfällen von Muskeln und Nerven.  Nein? Wir im Forschungszentrum für Querschnittsverletzung und Geweberegeneration Salzburg (SCI-TReCS: Spinal Cord Injury and Tissue Regeneration Center Salzburg) haben uns zum Ziel gesetzt, diese Frage zu beantworten.

Eine Querschnittslähmung bedeutet nicht nur, „nicht mehr gehen zu können“, sondern geht mit vielen körperlichen, aber auch seelisch schwierigen Zuständen einher. Was viele nicht wissen, ist, dass Querschnittpatienten sich einige Tage bis Wochen nach dem Unfall in einen gesundheitlich äußerst kritischen Zustand befinden: Die Regulation des Herz-Kreislaufsystems ist Außerkraft gesetzt, das Immunsystem ist schwer kompromittiert und daraus können lebensbedrohliche Infektionen resultieren, die Lungenfunktion ist so schwer beeinträchtigt, dass eine Atemunterstützung notwendig ist, das urologische System (Blase, Niere) kann schwer angeschlagen sein und viele weitere Komplikationen zeichnen die ersten Tage und Wochen nach einem Trauma.

Es gibt noch keine eindeutig belegbaren Zahlen

SCI-TReCS wurde 2012 gegründet, um viele wissenschaftliche Fragestellungen rund um das Thema Querschnittsverletzung zu erforschen. Dabei wurde schnell klar, dass man in Österreich, aber auch weiten Teilen Europas, keine eindeutig belegbaren Zahlen hatte.

Wie viele Menschen erleiden eine Querschnittsverletzung und gibt es Patienten, die trotzdem wieder gehen können und warum? Bei welchen Tätigkeiten und Aktivitäten ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, sich so schwer zu verletzen und wie könnte man das vermeiden, zum Beispiel mit Rückenprotektoren? Wie wichtig ist der zeitliche Faktor bis zur Erstversorgung und wie schnell sollte die Verlegung an ein Zentrum erfolgen? Wie finden Querschnittsverletzte wieder ins Berufsleben zurück? Wie hoch ist die Lebensqualität von Querschnittspatienten?

Viele dieser Fragen können wir in Österreich und teilweise Europa leider nicht oder nur unzureichend beantworten. Schätzungen zufolge sind pro Jahr 150 - 200 Personen in Österreich betroffen.

Daher wurde 2012 die Registerstudie „ASCIS“ gegründet - die „Austrian Spinal Cord Injury Study“.  Zusammen mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU), unter der Leitung des damaligen Rektors Prim. Prof. Dr. Herbert Resch, und der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), vertreten durch Dr. Andreas Greslehner, beide passionierte Unfallchirurgen.

Erstversorgende Zentren liefern Daten

Für die ASCIS Registerstudie nehmen österreichweit derzeit 16 erstversorgende Zentren sowie drei Rehabilitationszentren teil. Wird eine verunfallte Person mit Symptomen einer Querschnittsverletzung in eine teilnehmende Klinik gebracht, wird der neurologische Status erhoben und digital dokumentiert. Dies macht man, um einerseits den IST-Status der Verletzung genau zu kennen und andererseits dient die Erhebung dazu, Verbesserungen oder Verschlechterungen klinisch wissenschaftlich zu dokumentieren. Diese Daten werden in einem siebenstufigen Erhebungsablauf über zwei Jahre kontinuierlich erfasst. Es wird der funktionelle und klinisch-neurologische, der neurophysiologische und urologische Verlauf und auch der psychosoziale Verlauf in einer standardisierten, digitalgestützten Datenbank dokumentiert und in Bezug zu den einzelnen Behandlungsmaßnahmen (OP, Intensivtherapie, etc.) gestellt.

Die Verlaufserhebung erfolgt daher zuerst an einer Klinik - meist eine Unfallchirurgische Abteilung, wo die Patienten schnellstmöglich nach dem Unfall erstversorgt und operiert werden. Je nach Heilungsverlauf kommen diese dann nach einigen Wochen in eine Rehaklinik, wo die Erhebung der Daten weitergeführt wird. Da bei den Patienten ein bis zwei Jahre nach dem Unfall auch noch kleinste Veränderungen auftreten können, man spricht hier vom chronischen Querschnitt, werden sie bis zwei Jahre nach dem Unfall in regelmäßigen Abständen in die Kliniken bestellt, um ihren Genesungsverlauf zu erheben und weiter in die Datenbank einzupflegen.

Die klinische Dokumentation, die den strikten Datenschutzverordnungen entsprechen muss, ist für die behandelnden Ärzte und Pfleger aufwändig aber unerlässlich, wenn man langfristig Verbesserungen in der Patientenversorgung von Querschnittsverletzten erreichen möchte.

Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung müssen auch in der Klinik und vor allem bei den Patienten ankommen und umgesetzt werden.

Eine große Erleichterung hierfür wäre, wenn es seitens der Gesetzgebung eine Verpflichtung zur Dokumentation aller traumatischen (und/oder nicht-traumatischen) Querschnittspatienten gäbe. Dies würde auch die schnelle Nachversorgung der Patienten in den Rehakliniken positiv beeinflussen. Klinische Studien für Querschnittsverletzte könnten so leichter umgesetzt werden und einen weiteren Schritt in der Verbesserung von Querschnittspatienten in Österreich bedeuten.

 

Doktorin Barbara Zehentner

Barbara Zehentner arbeitet am Spinal Cord Injury and Tissue Regeneration Center Salzburg (SCI-TReCS) als Koordinatorin.