Bei der Planung meiner Famulaturen im Humanmedizinstudium an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität war es eine relativ spontane Entscheidung, mich für ein vierwöchiges Praktikum in Shanghai zu bewerben. Umso größer war die Freude über die Zusage. Im Rahmen des EURASIA-PACIFIC UniNet Program erhielt ich mit drei weiteren Studentinnen der Paracelsus Universität die Möglichkeit, einen Aufenthalt – unter anderem an der Fudan University in Shanghai – zu absolvieren.
Umfangreiche Vorbereitungen. Die Kommunikation mit der Universität in Shanghai im Vorfeld war nicht immer einfach. Zum Glück hatten wir ein gutes halbes Jahr Zeit, um alles zu organisieren. Die Station, auf der wir die Famulatur absolvieren wollten, durften wir selbst wählen: Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Da ich schon seit Längerem weiß, dass ich später als Neonatologin arbeiten will, war es naheliegend, mich für dieses Fach zu bewerben. Den Flug buchten wir etwa drei Monate vor der Abreise, um die Unterkunft kümmerten wir uns ca. zwei Monate vorher. Nachdem wir keine Unterkunft auf dem Campus erhalten hatten, mieteten wir zu dritt ein geräumiges Apartment über Airbnb. Das Visum besorgten wir uns über die chinesische Botschaft in Wien. Die Universität forderte eine Physical Examination, welche neben einer genauen körperlichen Untersuchung auch ein Thorax-Röntgen, ein EKG und diverse Blutuntersuchungen beinhaltete.
Gewöhnungsbedürftige Umstände. Gemeinsam mit zwei Freundinnen flog ich von München über Dubai nach Shanghai, wo wir drei Tage vor Beginn der Famulatur ankamen. Die erste Herausforderung stellte definitiv das Klima dar: Das Temperaturminimum liegt auch nachts kaum unter 30 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit ist enorm hoch. Da wir uns für unterschiedliche Fachdisziplinen entschieden hatten, waren wir in verschiedenen Krankenhäusern untergebracht. Vor Beginn des Praktikums begleiteten uns Medizinstudierende der Fudan University zum jeweiligen Krankenhaus. Ich kam ins Fudan University Children’s Hospital. Die Dimensionen sind dort eindeutig anders, als wir es in Österreich – vor allem in Salzburg – gewohnt sind. Das Krankenhaus umfasst nur Kinderzentren – allein die Neonatologie erstreckt sich über eine ganze Etage, ohne dass die entsprechenden Ambulanzen miteingerechnet sind. In einem Patientenzimmer befinden sich bis zu zwanzig Betten, die Zimmerzuteilung erfolgt gemäß dem Zustand der kleinen Patientinnen und Patienten.
Die eigenen Grenzen. Doch nicht nur die Größenordnung war ungewohnt: Vor allem der Umgang mit den Frühgeborenen brachte mich anfangs an meine Grenzen. Die Versorgung ist stark von der Versicherung bzw. den finanziellen Mitteln der Eltern abhängig. Können die Eltern sich die Behandlung nicht leisten, wird zwar ein Teil der Kosten von der Regierung gedeckt, dennoch stellt ein Frühchen eine extreme finanzielle Belastung für die Eltern dar. Die Entscheidung über Versorgung bzw. Behandlungsabbruch tragen hier auch vorrangig die Eltern, und der finanzielle Druck spielt dabei definitiv eine Rolle. Ein krankes/beeinträchtigtes Kind können und wollen sich viele nicht leisten. In manchen Fällen kommt es sogar dazu, dass Eltern ihre Kinder einfach auf der Neonatologie zurücklassen. Die Kosten müssen dann vom Krankenhaus – in vielen Fällen von der Station selbst oder sogar vom Personal – übernommen werden.
Alltag im Krankenhaus. Während in Europa die Eltern so gut es geht in die Pflege der Babys miteinbezogen werden, ist hier praktisch das Gegenteil der Fall: Eltern können ihren Nachwuchs auf der Intensivstation gar nicht besuchen. Erst ab cirka zwei Wochen vor der Entlassung dürfen sie ihr Baby dreimal die Woche sehen. Der Grund liegt vor allem im begrenzten Platz auf den Stationen. Beginnend um acht Uhr startet jeder Arbeitstag mit einem Stationsbericht, bei dem jede/r auf der Station Beschäftigte anwesend sein muss. Anschließend wird die Visite abgehalten – alles auf Chinesisch versteht sich – und der Nachmittag wird für Stationsarbeit genutzt. Die Sprachbarriere war größer als erwartet, denn nur wenige sprachen einige Brocken Englisch. So verbrachte ich anfangs die meiste Zeit damit, die unterschiedlichen Arbeitsgänge auf der Neonatologie zu beobachten. Ich hatte Glück: Ab der zweiten Woche durfte ich am International Training Program in Neonatal-perinatal Medicine, das durch eine Kooperation des Children’s Hospital of Fudan University und des Canadian Neonatal Network (CNN) ins Leben gerufen wurde, teilnehmen. Die Kommunikation erfolgte ab diesem Zeitpunkt ausschließlich auf Englisch.
Viel gelernt, viel erlebt. In den folgenden drei Wochen lernte ich mein Traumfach von den unterschiedlichsten Seiten kennen. Es war ein sehr umfassendes Programm, das theoretischen Unterricht, praktische Einheiten auf der Station und im Skillslab umfasste. Die Vortragenden kam aus Kalifornien und integrierten mich (obwohl ich die einzige Studentin zwischen all den Ärztinnen und Ärzten im Fellowship Program war) ab dem ersten Tag herzlich in den Kurs. Insgesamt bekam ich in den vier Wochen Famulatur einen umfassenden Einblick in die Neonatologie Chinas – einem Land, das sich gerade in der Gesundheitsversorgung und im Sozialsystem stark von unserem Gefüge unterscheidet –, und konnte viel über die Neonatologie lernen. In der Freizeit erkundeten wir die unglaublich beeindruckende Metropole Shanghai. Während wir uns im Bussystem ohne Chinesisch-Kenntnisse nur schwer zurechtfanden, war das auf Englisch gekennzeichnete U- Bahn-Netz auch für ausländische Fahrgäste recht benutzerfreundlich. Darüber hinaus erfuhr ich im Alltag in Shanghai vieles über die Menschen und ihre Mentalität. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte und anderen Studierenden nur wärmstens empfehlen kann.
Autorin: Sophie Stummer
Fotos: privat
Erstveröffentlichung: 11.1.2019